Birdman…: eine Kritik von Lisa Heinemann

Der Film „Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)“ hat vier Oscars erhalten und wurde für zahlreiche weitere nominiert. Aber ist ein Oscar auch ein Garant für Qualität?

Der in die Jahre gekommene, als Superheld „Birdman“ bekannt gewordene Schauspieler Riggan Thomson bildet den Mittelpunkt der Handlung. Seit seinem damaligen Erfolg ging es mit seiner Karriere bergab, welche er nun mit einer Broadwayaufführung wiederherstellen möchte. Während ein jüngerer Darsteller an Riggans Ego kratzt und ihn fortwährend herausfordert, wird er gleichzeitig mit seiner zerbrochenen Ehe, der gestörten Beziehung zu seiner Tochter Sam und den Medien konfrontiert.

Schon die erste Szene des Films weist auf seinen ungewöhnlichen Charakter hin: Passend zur Musik erscheinen und verschwinden Buchstaben. Ein Stilmittel, das man nicht mehr besonders häufig sieht. Vermutlich liegt das daran, dass die meisten Filme sich von ihrem Tempo her an den Alltag der Menschen anpassen und daher schlichtweg kein Raum für einen eher langsamen Aufbau wie diesen bleibt.
Besonders auffällig ist, dass die Musik nur aus Schlagzeugklängen besteht. Gleichzeitig ist dieser Aspekt aber auch interessant, weil dieses Musikstück immer wieder auftaucht und eine prägnante musikalische Untermalung darstellt. Es lässt sich zum Beispiel gut die gegenwärtige psychische Verfassung Riggans daran ablesen, da das Schlagzeugspiel wilder wird, wenn dieser aufgeregt ist.

Riggan, der nie so ganz mit seiner Rolle als „Birdman“ abschließen konnte, ist eine schwierige Figur mit einer labilen Psyche. Durch seine Unverblümtheit wirkt er oft unsympathisch und es fällt schwer, mit ihm mitzufiebern. Gleichzeitig wird nachvollziehbar dargestellt, warum er so unter Druck steht, wie zerstörerisch das Milieu rund um Schauspieler ist und welche Komplexe dabei auftreten können. Dieses Bild wird durch die anderen Figuren vervollständigt, die alle ihre eigenen Probleme bewältigen müssen, aber immer Teil von Riggans näherem Umfeld sind.
Zusätzlich wird häufig die Grenze zwischen Realität und Fantasie verwischt, sodass nicht ganz klar ist, ob manche Ereignisse geschehen sind bzw. was stattdessen geschehen sein mag. Diese übernatürlich anmutenden Szenen sind gut in den Film integriert, wodurch trotz des Verfremdungseffekts keine offensichtlichen Fehler im Handlungsverlauf erkennbar sind.

Die Kameraführung ist dynamisch und besticht durch viele Kamerafahrten, doch leider schwenkt sie so oft umher, dass einem beim Zuschauen schwindelig werden könnte. Obwohl die Nahaufnahmen Nähe zu den Figuren erzeugen sollen, funktioniert auch das nicht immer. Einen positiven Eindruck hinterlassen jedoch die wenigen Schnitte, wodurch es wirkt, als wäre der Film ohne Unterbrechung gedreht worden. Dafür benötigen alle Beteiligten großes Talent und Können.

Interessant sind die Parallelen zwischen dem Theaterstück zu dem Buch „What we talk about when we talk about love“ von Raymond Carver, welches Riggan im Film aufführen möchte und bei dem er selbst auch mitspielt, und dem dargestellten Leben der Figur. Liebe und Bewunderung sowie die Angst vor dem Altwerden und Vergessenwerden werden thematisiert. Die große Frage lautet: Wie erlangt ein Mensch Bedeutung?

Man könnte annehmen, dass die Grundstimmung des Films daher als schwer wahrgenommen würde. Jedoch stimmt das nicht. „Birdman“ weiß durchaus zu unterhalten, auch wenn der Humor oftmals auf Sexismus, Nacktheit oder anderen Grenzüberschreitungen beruht. Unterstrichen wird dies mithilfe einer bisweilen deftigen Umgangssprache, die Flüche und Beleidigungen nicht auslässt. Für Kinder ist der Film daher weniger geeignet. Auch Personen, die der Konfrontation mit psychischen Krankheiten oder Suizid aus dem Weg gehen wollen, sollten diesen Film nicht ansehen. Zwar werden Gewalttaten nicht so bildlich dargestellt wie in so manch anderem Unterhaltungsstreifen für Erwachsene, doch die Themen treten auf und das nicht nur nebenbei.

„Birdman“ ist durchaus ein interessanter, sehenswerter Film. Die Auszeichnungen erhielt der Film übrigens in den Kategorien „Bester Film“, „Bestes Originaldrehbuch“, „Beste Kamera“ und „Beste Regie“.

 

geschrieben im Wintersemester 2017/2018