Birdman…: eine Kritik von Niklas Tröschel

Der Birdman in Dir

Die Regentschaft der Superhelden im internationalen Kino hält weiter an. Von Spider- über Batman bis zu den aktuellen Avengers, Deadpool und Black Panther. Ob dunkle Action-Reihe oder heiteres Gag-Feuerwerk, ein Comic-Überzug scheint Ticketverkäufe zu garantieren und so wird die Kinolandschaft mit diesen Figuren überschwemmt. In „Birdman“ zeigt Regisseur Alejandro González Iñárritu den Versuch des abgehalfterten Ex-Superhelden Riggan Thomson (Michael Keaton), dessen verblasste Anerkennung aus seinen alten Kinohits an einem New Yorker Theater zurückzugewinnen.

Das gestaltet sich jedoch deutlich schwieriger als erwartet. Thomson führt Regie und verkörpert gleichzeitig die Hauptrolle. „Ambitioniert“ nennt das spöttisch sein männlicher Nebendarsteller Mike Shiner (Edward Norton) – ein genialer aber ebenso arrogant und egomanischer Theaterschauspieler, mit dem die Adaption von „What We Talk About When We Talk About Love“ immer wieder schwankt zwischen Meisterwerk und Blamage. Thomson muss sein Haus verpfänden, um Shiners exorbitante Gage zu finanzieren, eine Klage überschattet die ersten Vorstellungen und dazu wird Thomson zum unfreiwilligen Social-Media-Thema. Immer dann wenn sein Projekt endgültig zu scheitern droht, meldet sich eine dunkle Stimme in ihm zu Wort:

„Du hast dir einen Ruf erarbeitet, Buddy, und ein Vermögen. Jetzt ist beides weg. Na und? Fuck it. Sie erwarten noch Großes von uns! Also rasier diesen lächerlichen Ziegenbart ab, lass dich operieren! Du bist das Original, Mann. Gib den Leuten, was sie wollen: guten, alten, knallharten Apokalypseporno, bis die Teenies sich einscheißen. Eine Milliarde Dollar weltweit, garantiert!“

Hört Thomson diese Stimme, erwacht der sonst so abgehalfterte Schauspieler zu neuem Leben. Seine Kräfte als „Birdman“ erwachen, endlich scheint seine Persönlichkeit wieder von Bedeutung…

Iñárritus Werk beeindruckt, weil es auf so vielen Ebenen funktioniert. Die Figuren sind liebevoll gezeichnet. Thomsons Tochter Sam (Emma Stone), gerade aus der Entzugsklinik zurückgekehrt, zieht den Zuschauer in ihren Bann, wenn ihre Frustration über den Egotrip des Vaters herausplatzt. Genauso wie die bissige Kritikerin der New York Times (Lindsay Duncan), die in Allmachtsphantasien schon vor der Vorstellung droht, das Stück zu verreißen, weil sie einen ehemaligen Comic-Superhelden am Broadway-Theater nicht akzeptiert.

Darüber hinaus scheinen viele Biographien der Darsteller mit ihren Figuren verknüpft. Michael Keaton wurde zwischen 1989 und 1992 als Batman bekannt, Edward Norton ist laut Presseberichten in Hollywood als schwieriger Charakter berüchtigt, der sich gerne aus Eigeninitiative am Drehbuch zu schaffen macht. Norton hat ebenso wie Emma Stone eine Vergangenheit in Superhelden-Filmen („The Incredible Hulk“ 2008, „The Amazing Spiderman 2“ 2014).

Auch die technische Umsetzung ist meisterlich. Kameramann Emmanuel Lubezki folgt den Protagonisten durch die verschlungenen Theatergänge von einem Szenario zum nächsten. Die wenigen Schnitte sind dabei so gut versteckt, dass es wirkt, als sei der Film mit einem Take gedreht worden. Das Bild fährt in der Nacht vom Balkon zum Haupteingang des Theaters im Zeitraffer, wo am Morgen die nächste Szene beginnt. Selbst im Detail ist das Bild perfekt. Oft sind Schauspieler in ihren Garderoben zu sehen, die mit Spiegeln vollgepackt sind. Kein einziges Mal ist ein Kameramann oder sein Arbeitsgerät in einer Reflektion zu erkennen.

„Birdman“ liefert ein interessantes Bild über Ur-Ängste, die gerade in den Milieus von Schauspielerei und Medien allgegenwärtig sind. Thomson geht immer weiter in Birdman auf und ist damit zu selbstzerstörerischen Schritten bereit, die von Publikum, Presse und sogar Vertrauten begeistert beklatscht werden. Iñárritu führt nicht nur Hollywood und Broadway die krankhafte Geltungssucht vor. In Zeiten von viralen Videos und der damit verbundenen Kurzzeit-Prominenz kann sich jeder Zuschauer fragen, wie viel Birdman in ihm steckt.

 

verfasst im Wintersemester 2017/2018