M…: eine Kritik von Rebecca Preuß

Bei M – Eine Stadt sucht einen Mörder handelt es sich um einen der ersten deutschen Tonfilme, bei dem dennoch besonderen Wert auf Stille gelegt wurde; denn der Film kommt komplett ohne Filmmusik aus und ruft damit Erinnerungen an den damalig dominierenden Stummfilm wach. Der Einsatz des Tones wurde konkret akzentuiert eingesetzt. Allein das Pfeifen des psychopathischen Mörders versetzt den Zuschauer in Angst und Schrecken. Dieses Symbol des Mörders steht, neben dem Zeichen des Kreideabdrucks M, bis heute präsent für den ganzen Film.

Eine Gruppe von Kindern spielt im Hof, während Frauen mit ihren alltäglichen Hausarbeiten beschäftigt sind. Jeder geht seiner Arbeit nach. Die Straßen sind belebt, als das Schellen der Grundschule zum Schulschluss erklingt. Alles wie immer. Doch dann passiert es. Eines der Schulkinder, Elsie Beckmann (Inge Landgut) kehrt nicht nach Hause zurück und wird zu einem späteren Zeitpunkt ermordet aufgefunden. Nur Fahndungsplakate und die Presse der Stadt verraten, dass es nicht das erste Mal sein kann, dass ein Kind ermordet aufgefunden wird. Bisherige Bemühungen der Polizei bleiben seit acht Monaten erfolglos. Es muss sich um einen Serienmörder handeln. Der Teufel höchstpersönlich. Er ist unter uns und jeder kann es sein. Doch die Spur bleibt aus und das Morden geht weiter. „Wer ist der Mörder? Wie sieht er aus? Wo verbirgt er sich? Niemand kennt ihn und doch ist er mitten unter uns“, schreibt die Tageszeitung einen Tag nach dem Tod des Kindes. Wechselseitige Anschuldigungen wachsen. Selbst Männer oder Frauen, die einem täglich gegenübersitzen, könnten nun der Mörder sein. Der Gedanke versetzt die ganze Großstadt in einen Ausnahmezustand. Die Hysterie ergreift jeden, ob Stadtbewohner, Polizist oder Verbrecher der Unterwelt. Jeder ist hinter dem Mörder her. Bleibt die Frage, wer, fängt ihn zuerst und welche Rolle spielt dabei die Bettlerorganisation der Stadt? Die Katz-und-Maus-Jagd innerhalb der Stadt kann beginnen.

M – Eine Stadt sucht einen Mörder wurde am 11. Mai 1931 in Deutschland unter dem Titel „Mörder unter uns“ uraufgeführt. Gedreht wurde im Studio Zeppelinhalle Staaken, in der eine glaubhaft konstruierte Stadt entstand. Handlungsort ist Berlin, darauf weisen zumindest Requisiten des Filmes (Stadtepläne, Strassenwerbung und Tageszeitungen) hin. Für Kamera war Fritz Arno Wagner und für den Schnitt Paul Falkenberg tätig. Die aufreibende Suche nach dem Mörder erstreckte sich damals über 117 Minuten Filmmaterial. Drei Jahre später wurde er von den Nazis verboten. Teile der Originalfassung sind bis heute verschollen. Übrig blieben 3⁄4 des Filmes. Nach Restaurationen im Jahr 2011 konnte der Film auf 111 Minuten gebracht werden.

Das Filmteam unter Regie von Fritz Lang (Metropolis 1927) beeinflusst durch präzise Licht- und Tongestaltung, sowie Filmschnitt die Aussage und Stimmung des Filmes. Erzählform und Handlung ordnen sich in die Filmgenre Krimi und Drama ein. Die Tragik des verlorenen Kindes, vor allem der Mütter und der Schlussmonolog des Mörders sorgen für dramatische Gänsehautmomente. Ergänzend dazu sorgt die parallele Suche von Polizei und Verbrechern nach dem Mörder für reichlich Spannung.

Die Szenen der detaillierten und fortschrittlichen Polizeiarbeit ermöglichen dem Betrachter einen tiefen Einblick in die Fahndungsmethoden der Weimarer Republik. Auch Kulisse und Kostüme wirken mehr als authentisch. Die Bedeutung der Zahlmethoden jener Zeit, Zigaretten und Zigarren in jeglicher Art und Form, erlauben eine Retroperspektive.

Im Kontrast dazu tauchen hier und da humorvolle Szenen auf, die vor allem durch Rangeleien und Anschuldigungen innerhalb der Bevölkerung, beziehungsweise in erster Linie zwischen Verbrechern und Polizei geprägt sind. Die andauernden Razzien der Polizei in Klubs und Bars der Unterwelt und damit die Störung ihrer Geschäfte, sowie der Vergleich mit dem Mörder schmecken den Verbrechern so gar nicht und so beschließen sie kurzerhand den Mörder selbst zu fassen. Das sorgt für ordentlichen Trubel. Der Einbrecher Franz (Friedrich Gnaß) entfaltet hierbei sein komödiantisches Wesen. Dabei lebt er frei nach Berliner Schnauze, die in Kombination seiner urkomischen Gesichtsmimik einfach urkomisch erscheinen.

Besonders bewundernswert sind, unter Berücksichtigung damaliger Verhältnisse, die filmtechnischen Aspekte.

Am Set wurde mit der Technik des low-key-lighting gearbeitet. Dadurch wurde dem Film einen gewissen Film-noir-Charme verliehen. Dafür sprechen Licht-Dunkel-Effekte, hohe Kontraste, Schwarz-Weiß-Effekte und Gegenlicht. Auffällig sind Schatten, die durch starke Beleuchtung entstehen. Licht beziehungsweise Schatten spielt im Film eine wichtige Rolle und garantiert Spannung und Unbehagen. Hauptsächlich sind harte Schatten im Gesicht des Mörders und Schränkers wiederzufinden. Dadurch wirkt ihr Wesen einerseits schwer einschätzbar und andererseits bösartig und heimtückisch. Die Dunkelheit des Bildes verstärkt darüber hinaus den Eindruck einer angespannten, aggressiven und kalten Grundstimmung innerhalb der Bevölkerung, die einen klaren und eindeutigen Mörder verlangen. Besonders im Gedächtnis bleibt die Szene, die relativ früh am Anfang des Filmes gezeigt wird, als sich der tiefschwarze Schatten des Mörders, der schon gedanklich dabei ist, sein nächstes Opfer anzusprechen, über sein eigenes Fahndungsplakat beugt. „Du hast aber einen schönen Ball. Wie heißt du denn?“ Allein der Schatten sorgt dafür, dass einem der Schauer über den Rücken läuft.

Die teils ungewöhnlichen Kameraperspektiven sorgen für einen Wiedererkennungswert. Der Blick des Zuschauers fällt von Dächern in Hinterhöfe und Gassen hinab, welche verschiedene Handlungsorte erahnen lassen; taucht unter Tischen hervor, um das mächtige und bedeutende Ego des Kriminalpolizisten Lohmann aufzudecken oder huscht zwischen Büschen hindurch, um den exakten Weg des Mörders mitzuverfolgen. Der Tod des Mädchens Elsie Beckmann wird in aussagekräftigen Bildschnitten von verlassenen Orten verdeutlicht: das verlassene Treppenhaus, der leerstehende Dachboden und der gedeckte ungenutzte Platz des Kindes am Küchentisch. Als Höhepunkt werden zwei Schnitte gesetzt, um den verloren-rollenden Ball des Kindes und den vom Wind vertriebenen Luftballon zu zeigen, den ihr der Mörder zuvor gekauft hatte.

Auch die Schnitte der Parallelmontage zwischen Verbrechern und Polizisten wurden geschickt gesetzt. Alle sitzen sie nachdenklich qualmend in ihren Quartieren beisammen und überlegen, wie sie den Mörder am schnellsten zu fassen bekommen. Der zunehmend stärker werdende Rauch symbolisiert die verzwickte Lage, auch in den Köpfen der Beteiligten. Der Schränker (Gustaf Gründgens), der Kopf der Verbrecherbande, äußert sich gekränkt über die Vorkommnisse der letzten Tage. Ihm passt es gar nicht, dass die Polizei seine Geschäfte durch Kontrollen behindern. Mit einer ausschwenkenden Handbewegung bittet er seine Gefolgsleute um ihre Meinung. Hier setzt der Schnitt ein. Gezeigt wird nun die Gegenseite, die Versammlung von Polizeibeamten. Kriminalkommissar Groeber (Theodor Loos) beendet die Handbewegung, setzt sich und bittet seinen Kreis um ihren Standpunkt. Für diesen Schnitt wurde die Technik des Match Cut verwendet.

Anhand dieser Szene zeigt sich noch eine andere neuartige Filmtechnik: die Technik des vorgezogenen Wechsels der Tonspur (Akustische Klammer). In der zuvor beschriebenen Szene zeigt sich eine Tonüberlappung, indem der Satz vom Schränker halb angefangen („Meine Herren, unsere Mitglieder müssen wieder in Ruhe ihren Geschäften nachgehen können, ohne durch die überhand nehmende Nervosität der Kriminalpolizei andauernd gestört zu werden. Ich bitte…“) und in der anderen Szene vom
Kriminalkommissar weiter gesprochen wird („…sich dazu zu äußern, meine Herren…“).

Eine klassische akustische Klammer wird auch direkt zu Anfang präsentiert. Der Film wird mit einem schwarzen Bild und ohne Ton eingeleitet. Das Bild bleibt schwarz, doch plötzlich ertönt die Singstimme eines jungen Mädchens. „Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt der schwarze Mann zu dir – mit dem kleinen Hackebeilchen – macht er Schabefleisch – aus dir. – Du bist raus!“ Während des Liedes wird das Bild geschnitten und eine im kreisstehende Gruppe von Kindern erscheint auf der Bildfläche.

Auch das Pfeifen des Mörders sorgt für einen hochgradigen Wiedererkennungswert des Filmes und dient als audiovisuelles Mittel, um wiederkehrende Bedrohungen anzukündigen. Bei dem Pfeifen handelt es sich um das Orchesterstück „In der Halle des Bergkönigs“ aus Griegs Peer-Gynt-Suit Nr. 1.

Folgendes Requisit besitzt eine tiefgreifende Bedeutung für den Film. Es ist der Spiegel. Während in einer Szene das Wesen des Mörders beschrieben wird, wird mithilfe eines Schnittes in der anderen Szene der Mörder höchstpersönlich, sich prüfend vor dem eigenen Zimmerspiegel gezeigt. Es ist das erste Mal, dass man das Gesicht des Mörders im Film überhaupt zu sehen bekommt. Der Betrachter ist somit allen Suchenden einen Schritt voraus. Doch was die Szene so bedeutend macht, ist nicht seine Erscheinung als solches, sondern sein Blick, dieser im Wahn befindende, völlig realitätsferne Blick. An dieser Stelle gewährt der Film einen Einblick in die Psyche des Mörders.

Der Bezug zu realen Gewaltverbrechen in Deutschland, vor allem zum Fall des Serienmörders Peter Kürten, auch bekannt als Vampir von Düsseldorf, sowie die akribischen Nachforschungen Langs und der zweiten Drehbuchautorin von Harbou bezüglich der Psychologie der Figuren im Drehbuch, lassen den Film besonders realitätsnah wirken.

Diese Authentizität spiegelt sich vor allem in der Figur des Mörders, die durch Peter Lorre verkörpert wird, wieder. Lorre verleiht der Rolle eine intensive Glaubwürdigkeit, die absolut packend und zugleich berührend ist. Sein schauspielerisches Talent sticht besonders dann hervor, wenn er dem Zuschauer die kranken Impulse des Mörders mit unfassbar ausdrucksstarker Mimik offenbart. Vorrangig der Schlussmonolog des Mörders zeigt, wie tief Lorre in seiner Rolle steckt. Wie wird die Situation für ihn enden?

Den Film M – Eine Stadt sucht einen Mörder sollte man unbedingt gesehen haben. Die besonderen Qualitäten überzeugen durch eine damals neuartige Filmtechnik, sowie schauspielerischer Höchstleistungen, primär von Peter Lorre als psychopathischen neurotischen Mörder, die uns die Kategorien von Gut und Böse verwerfen lassen. Besonders das Pfeifen des Mörders bleibt in den Köpfen der Zuschauer haften. Der Film wirft einen Blick zurück auf das unruhige Leben der Großstadt der Weimarer Republik und spielt mit gesellschaftlichen Moralvorstellungen. Aus diesen Gründen ist der Film zurecht als Meilenstein in der Filmgeschichte zu bezeichnen. Die Hintergründe und Stilmittel des Filmes sind vor allen für Filminteressierte leicht zu erkennen und lassen sich Szene für Szene analysieren. M ist einer dieser Filme, die man nicht so leicht vergisst.

 

verfasst im Wintersemester 2017/2018