Birdman…: eine Rezension von Anastasia Kudinov

„Gib Ihnen Action – nicht diesen demprimierenden, philosophischen Scheiß!“ – Birdman

„Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)“

Ein Film, der nicht leicht zusammenzufassen ist. Ein Film, der 2015 ganze vier Oscars[1] gewonnen hat, wobei er gegen Filme wie „Whiplash„, „Boyhood“ und „The Theory of Everything„antreten musste. Ein Film, der keine einfache Kost darstellt und vielleicht nicht von jedem Zuschauer gleich als Meisterwerk empfunden wird.
In dem von Alejandro González Iñárritu gedrehtem „Birdman“ geht es primär um den Schauspieler Riggan Thomson (Michael Keaton), der vor Jahren in der Hauptrolle als ‚Birdman‘ einen riesigen Erfolg feierte und nun eine kleine Flaute in seiner Karriere feststellen muss. Am Broadway versucht er sich nun als Regisseur und Hauptdarsteller des Theaterstücks „Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden“, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Raymond Carver aus 1989.

Der Zuschauer begleitet Riggan auf der Suche nach seiner Verwirklichung und erfährt mit was und mit wem er als Regisseur zu kämpfen hat. So erfahren wir durch seine Tochter Sam (Emma Stone) einiges über sein Familienleben, durch einen seiner Protagonisten Mike Shiner (Edward Norton) über die Auseinandersetzung mit seinem Ego und durch seinen Produzenten Jack (Zack Galifianakis) den Druck des Erfolgs, der auf ihm lastet.

Ein Film, der die Bemühungen eines gefallenen Prominenten beschreibt, der nun versucht etwas eigenes auf die Beine zu stellen. So könnte der ein oder andere ein Drama erwarten, das mit einer Hollywood Erfolgsgeschichte endet. Aber „Birdman“ ist keinesfalls ein klassisches Hollywood Erfolgsmärchen. Es handelt sich hierbei auch nicht um eine biographische Darstellung von Michael Keatons Karriere. Zudem ist „Birdman“ kein Superheldenfilm, wie es der Trailer vielleicht implizieren mag. Vielmehr handelt es sich um ein philosophisches Drama, mit viel schwarzem Humor, einem Haufen popkultureller Referenzen und einem hohen Maß an Dekonstruktion der Film- und Theaterbranche in Amerika.

Dass ‚Birdman‘ etwas nach ‚Batman‘ klingt, ist durchaus Absicht. Es ist kein kleines Easteregg am Rande, sondern ein zentrales Element des ganzen Films. So ist es wichtig, dass man bei Google als erstes Trivia über „Birdman“ herausfindet, dass Michael Keaton tatsächlich 1989 und 1992 ‚Batman‘ spielte. Nicht zufällig spielten auch weitere Schauspieler der Besetzung Rollen von Superhelden[2]. Trivia zum Film gibt es zu Hauf. Dabei ist nicht zu unterschätzen, wie viel Unterhaltungswert der Film dadurch außerhalb der zwei Stunden bietet.

Gelungen sind über die Besetzung und die Handlung hinaus, die Koordination von Kamera und Inszinierung. Alejandro González Iñárritu und Emmanuel Lubezki haben beabsichtigt den Film als „One-Shot“ darzustellen (3). Dies ist ihnen durchaus gelungen. Die insgesamt 16 Schnitte fallen nicht auf, wenn man nicht darauf achtet. Verdient hat der Film seine Oscars, sowohl für die inhaltliche als auch technische Darstellung.

Nicht zu übersehen ist zudem die schauspielerische Leistung. Bekannte Namen, bedeuten nicht gleich fähigen Umgang mit diesen. In „Birdman“s Fall bedeutet die Besetzung von bekannten Schauspielern jedoch großartiges Zusammenspiel. Die Charaktere wirken jederzeit real, die Dialogbücher sind unheimlich gut geschrieben und umgesetzt. Sie schaffen es den Zuschauer in die Gedankenwelt der Charaktere zu versetzen und mit ihnen zu fühlen. Zu jedem Zeitpunkt kann der Zuschauer die Emotionen alleine anhand der Mimik der Charaktere mitverfolgen. So lohnt es sich bereits in den ersten Szenen Riggans Blick genau zu verfolgen, um mitzubekommen, wie sich die Szenerie um ihn herum ändert. Jeder Blick, jede Handbewegung wirkt durchdacht. Und trotz der Dialoglastigkeit, und obwohl der Film nur an einem Ort spielt, obwohl er wie ein „One-Shot“ aussieht, wirkt er in jeder Sekunde dynamisch, aktiv und kein bisschen einschläfernd. Dies liegt vor allem daran, dass – ähnlich wie bei Marvel und DC Comics[4]– in einem Bild sehr viel passiert.

Nicht nur die Hauptcharaktere, die von der Kamera fokussiert werden, sind wichtig. Es spielt sich auch viel im Hintergrund ab, auf das der Zuschauer beim erstem Mal vielleicht nicht immer achten kann. Der Wiederanschauungswert ist dadurch sehr hoch. Es lohnt sich tatsächlich den Film öfter zu schauen, um übersehene Details zu bemerken. Durch die hohe Konzentration, die der Film 119 Minuten lang durchgehend erfordert, durch die vielen Hintergrundinformationen und durch die vielen Referenzen, wird „Birdman“ leider bei einigen Zuschauern auf Verwirrung und Ermüdung stoßen. Wie bereits angedeutet verpackt der Trailer den Film anders, als das was der Inhalt tatsächlich bietet. Zwar spricht er somit eine breitere Zielgruppe an, zerrt aber auch Unwissende ins Kino.

Für Interessierte, die sich nicht sicher sind, ob sie „Birdman“ greifen können, empfehlt es sich den Film mit folgenden zwei Fragen im Hinterkopf zu schauen: Wieviele Rollen muss Riggan in dem Film erfüllen? In wie viele Rollen schlüpfe ich als Mensch täglich?

„A thing is a thing, not what is said of that thing.“ – Susan Sontag

 

 

rezensiert im Wintersemester 2017/2018

Fußnoten:

[1] Best Motion Picture of the Year, Best Achievement in Directing, Best Writing/Original Screenplay, Best Achievement in Cinematography

[2] So ist zum Beispiel Emma Stone ‚Gwen Stacy‘ in „The Amazing Spiderman“ und Edward Norton der „Hulk“ aus 2008.
SPOILER: Außerdem spielte Naomi Watts in David Lynchs „Mulholland Drive“ mit, was kein Superhelden Film ist, aber in dem sie eine ähnliche Romanze mit einer Brunette hat, wie bei Birdman.

[3] Der Film sollte für den Zuschauer wirken, als gäbe es keine Schnitte, als wäre er an einem Tag und Ort gedreht worden.

[4] Der Film greift durchgehend die Konkurrenz zwischen den beiden größten Comicvertrieben, aus denen die im Film referenzierten Figuren stammen, auf. Komischerweise werden Marvel Charaktere und Schauspieler immer beim Namen genannt, während ‚Batman‘ immer ‚Birdman‘ bleibt. Zudem impliziert der Film eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kommerz dieser Studios.

Quellen:

http://variety.com/video/the-seamless-look-of-birdman/ (Steve Scott)
https://www.youtube.com/watch?v=PVmaJAmQ3yQ (Director Alejandro G. Iñárritu)
http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Film/Birdman
https://de.wikipedia.org/wiki/Raymond_Carver
http://www.imdb.com/title/tt0096895/?ref_=fn_al_tt_1
http://www.imdb.com/title/tt0103776/?ref_=tt_rec_tt