M…: eine Rezension von Ann Catherine Schlüter

Pfeifen wird hauptsächlich mit einem akustischen Geräusch assoziiert, welches Freude oder Anerkennung ausdrückt. Ein Pfeifen kann einen Startzeitpunkt ankündigen, zum Beispiel, wenn der Schaffner auf dem Bahnsteig pfeift, oder aber auch ein Ziel, wenn der Teekessel pfeift. Pfeifen kann schrill sein und Unwohlsein hervorrufen, wenn dadurch geschlecht-bedingte Machtpositionen offengelegt werden. Pfeifen reproduziert Melodien, meistens in wiederholender Abfolge, die Musikalität und Wiedererkennung ausdrücken. So auch die Leitmelodie aus Edvard Griegs „Peer Gynt-Suite“ in dem Film „M – eine Stadt sucht einen Mörder“, der unter der Regie von Fritz Lang im Jahre 1931 produziert wurde.

In einer namenlosen Stadt treibt sich ein Kindermörder herum, der junge Mädchen bei der Schule abfängt, diese mit Süßigkeiten und aus runden Luftballons dargestellten Menschenkörper anlockt und schließlich umbringt. Das Verschwinden der jungen Schülerin Elsie Beckmann animiert das Polizeipräsidium sich den Vorfällen intensiver anzunehmen, doch zum Beginn des Films gibt es keine vernünftige Spur. Die Stadt gerät zunehmend in Unruhe, Kinder dürfen nicht mehr alleine auf der Straße herumlaufen, in allen Ecken werden unschuldige Männer verdächtigt und öffentlich denunziert. Denn das es sich um einen männlichen Mörder handelt, ist selbstverständlich. Ebenso wie es die Männer sind, die die Entscheidungen treffen, spiegelt sich die gesellschaftliche Bedeutung des weiblichen Geschlechts der Weimarer Republik auch in der Unterrepräsentanz der Frauen in Fritz Langs Film wider. Die weiblichen Figuren reduzieren sich auf Mütter, Hausfrauen und Prostituierte.

Durch die gesellschaftliche Skepsis sehen sich die Diebe, Bettler und Verbrecher der Stadt in ihrer Existenz bedroht, weswegen sie beschließen, sich in den Fall einzumischen.

„M – eine Stadt sucht einen Mörder“ spielt auf humorvoller Weise mit der Verfolgungsjagd zwischen den Gaunern und den dümmlich wirkenden Polizisten, wobei es dem Zuschauer schwer fällt, nicht mit der sympathisch verbrüderten Verbrecherbande um das Stellen des Mörders mitzufiebern. „Verpfeif‘ mich nicht bei den Bullen!“, scheint es in den Gassen als Codewort unausgesprochen wiederzuhallen. Wo die Kriminalpolizei sich immer noch mit ermittlungsbedingten Details aufhält, haben die Verbrecher ein ausgereiftes Konzept erstellt, den Mörder auf der Straße auf frischer Tat zu ertappen.

Trotz der historisch-bedingten ungewohnten schwarz-weiß-Ästhetik und der langsamen Narrations- und Schnitttechnik, schafft es Fritz Lang aufgrund der Wirkung von Licht und Schatten Spannung beim Zuschauer hervorzurufen. Durch den minimalistischen Einsatz von Ton, der sich rein auf die Dialoge, das Pfeifen des Mörders und wenige Atmo-Geräusche in Langs erstem Tonfilm reduziert, wird Stille als ästhetisches Mittel eingesetzt. Dieses wirkt am Anfang noch, sich seiner eigenen Immersion in den Filmcontent bewusst zu werden, gegen Ende produziert es jedoch künstlich aufgezogen Längen, die auch durch die langanhaltenden Totalaufnahmen forciert wird. Der akustisch deutliche Unterschied zwischen Live- und Off-Aufnahmen lässt sich leider auch nicht anhand der bildlich illustrierenden Diashows ausblenden, die dem Zuschauer die unterschiedlichen Ermittlungsvorgänge der beiden Konkurrenten durch in Gesprächen eingebetteten Retrospektiven aufzeigen.

Sehr ansprechend wird durch die Symbolik von Treppen der gesellschaftliche Status der Figuren dargestellt. Sei es die Mutter, die nach ihrer verschwundenen Tochter das Treppenhaus hinab ruft oder das nicht-endende Treppenhaus des Kaufhauses, in dem sich vermutlich der Mörder versteckt hält und welches die Bettler in hektischer Art und Weise aufbrausend hoch- und runterrennen. Sehr gelungen ist die Metapher, dass sich der Mörder auf dem Dachboden in Sicherheit währt, während er letztendlich von den Verbrechern grob die Treppe heruntergestoßen wird und erschöpft auf dem Boden liegen bleibt.

Fritz Lang erzählt mit „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ eine langatmig ausformulierte Geschichte, die das eigene Moralverständnis hinterfragt und zugleich einen wundervollen Kontrast zu den heutigen „Tatort“-Kriminalfilmen bietet, in dem die Logik der Ermittlungen eine geringere Rolle spielt, als dass der Fall innerhalb von 45 Minuten abgehakt wurde.

 

geschrieben im Wintersemester 2017/2018