Viele Menschen meiden Dokumentationen, weil sie ihnen zu langweilig sind. Ein Dokumentarspiel kann eine gute Alternative darstellen, wenn man keinen gesteigerten Wert auf historisch einwandfrei belegte Abläufe legt und trotzdem Allgemeinwissen zu einem Thema aufbauen möchte. Der Film „Der schwarze Freitag“ zählt zu diesem Genre. Wie gelingt ihm die unterhaltsame Faktenvermittlung?
Den meisten Menschen ist bekannt, dass es 1929 ein Ereignis gab, dass eine Weltwirtschaftskrise auslöste. Vielleicht weiß man auch, dass es sich dabei um den „Schwarzen Freitag“ handelt und dass die Börse involviert war. Im gleichnamigen Film wird versucht, die Hintergründe der Katastrophe aufzuklären. Wie kam es dazu, dass die Wirtschaft so unerwartet zusammengebrochen ist? Welche Rolle spielte die Börse? Und kann man möglicherweise sogar einen Verantwortlichen festmachen?
Eine zentrale Rolle dabei spielt der damalige Präsident der New Yorker Börse, Richard Whitney (Curd Jürgens). Die Figur bildet den roten Faden, der sich durch den Film zieht. Die Mischung aus Lässigkeit und Durchtriebenheit, welche Richard Whitney ausmachen, zeigt der Schauspieler über sein Minenspiel und die Gestik eindrücklich. Dies wird durch die Kameraführung noch unterstrichen: Wenn Whitney sich von den Senatoren abwendet und dadurch genau in die Kamera schaut, kann der Zuschauer seine Emotionen nachverfolgen, während die anderen Figuren ausgeschlossen werden.
Insgesamt betrachtet ist die Kameraführung gelungen. So wird beispielsweise das Chaos und die Unmittelbarkeit einer Szene mit leichten Kameraschwankungen unterstrichen, wodurch der Zuschauer sich mehr auf die Illusion, vor Ort zu sein, einlassen kann. Bei der Anhörung Whitneys vor dem Senat wird vieles, was der Präsident der Börse nicht sagt oder anders ausdrückt, durch Kameraeinstellungen gezeigt. Der Broker verliert vor den Senatoren nie die Fassung, aber wenn er sich bedrängt fühlt, positioniert die Kamera sich hinter ihm und vermittelt so das Gefühl, dass die Senatoren auf der anderen Raumseite den einzelnen Mann einkreisen.
„Der schwarze Freitag“ ist ein Schwarz-Weiß-Film und weist ein teilweise durch Punkte gestörtes Bild auf. Farbfilme waren zu Zeiten des Drehs bereits möglich, doch um die Authentizität des Films zu steigern, wurde darauf verzichtet. Ebenso fehlen Soundtracks. Das ist für moderne Zuschauer ein wenig seltsam. Filmmusik eignet sich zum Spannungs- oder wenigstens Aufmerksamkeitsgewinn, was besonders bei Dokumentationen praktisch ist und daher heutzutage häufig verwendet wird.
Nach der Einführung in die Handlung, welche dem Trailer gleicht, gibt es nämlich eine Szene, die die Aufmerksamkeitsspanne der Zuschauer strapaziert: die Anhörung beim Senat. Davor fesselt der Film mit einem humorvollen Erzähler und Bildern, die das Gesagte untermalen. Beim Satz „Löhne und Gehälter klettern“ wird dann ein Arbeiter gezeigt, welcher eine Leiter in luftige Höhen besteigt. Nach der langen Senatsszene mischt der Erzähler sich wieder ein und bildet so einen Rahmen um den Film.
Auch die Senatssitzung beginnt vielversprechend. Richard Whitney und die Senatoren liefern sich hitzige Diskussionen, die vor Spitzfindigkeiten, Provokationen, Ironie und Zynismus nur so triefen. Hintergrundwissen zum Börsengeschehen wird durch die Erklärungen Whitneys eingeschleust, welche er auf die Fragen der Senatoren abgibt. Doch bei all den unterhaltsamen Wortgefechten ist es manchmal schwer, die übermittelten Informationen aufzunehmen. Die Figuren und ihre Beziehungen zueinander, all die Spitzen, die sie sich zuwerfen, lenken stark ab und strengen auf Dauer an. Da hilft es keineswegs, dass diese Szene den Hauptteil des Films bildet.
Die Verhältnisse der damaligen Zeit zeigen sich nicht nur in der Kleidung der Figuren. Weibliche Personen tauchen selten auf – und dann nur als Sekretärinnen. Auch dunkelhäutige Menschen werden in dem Film eher ausgeblendet oder als niedere Arbeiter dargestellt.
„Der schwarze Freitag“ erfüllt seine Aufgabe als Dokumentarspiel. Man gewinnt nicht nur Wissen zu dem damaligen Ereignis, sondern begreift auch die Hintergründe der Börse im Allgemeinen. Zwar haben sich deren Regeln im Laufe der Jahre geändert, doch das zugrunde liegende Prinzip bleibt gleich: Kaufen und Verkaufen, um Profit zu machen. Dass das auf Kosten der weniger reichen Bevölkerungsschichten geschieht, ist auch heute noch ein Thema, welches nicht nur im Zusammenhang mit der Börse erwähnenswert ist. Dieses Prinzip prägt jede vom Kapitalismus beeinflusste Gesellschaft. Außerdem lässt sich aus dem Film einiges zur grundsätzlichen Entstehung von Wirtschaftskrisen ableiten. Die Krise 2007/2008 wurde zwar durch den Immobilienmarkt und nicht die Börse ausgelöst, doch Spekulation und Kredite spielten auch dort eine entscheidende Rolle. Damit besitzt „Der schwarze Freitag“ auf mehreren Ebenen einen bildungsrelevanten Wert.
verfasst im Wintersemester 2017/2018
Mehr Informationen zu Dokumentarspielen: http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2728