Der Gott des Gemetzels…: eine Kritik von Friederike Bücker

Der Gott des Gemetzels („Carnage“, 2011) ist Roman Polanskis Verfilmung des im Deutschen gleichnamigen Theaterstücks der französischen Schriftstellerin Yasmina Reza.

Der Film behandelt ein Treffen zweier Ehepaare, die eine Auseinandersetzung zwischen ihren Kindern aufzuarbeiten versuchen. In einem Streit, den die Zuschauer*innen im Vorspann aus der Ferne beobachten, hat Zachary Cowan dem gleichaltrigen Ethan Longstreet im Brooklyn Bridge Park zwei Zähne mit einem Ast ausgeschlagen. Die eigentliche Handlung beginnt damit, dass deshalb seine Eltern Nancy und Alan in der Wohnung der Longstreets sind, wo Ethans Mutter Penelope die Geschehnisse protokolliert. Ihr Mann Michael und die Cowans stehen dabei unterstützend zur Seite. Und auch während vorsichtig über die Wortwahl diskutiert wird – war der Junge nun mit einem Stock „bewaffnet“ oder nur „ausgerüstet“? – sind beide Paare bemüht, sich ausgesprochen höflich und entgegenkommend zu präsentieren. Schließlich ist man erwachsen und kann Konflikte vernünftig und diplomatisch klären. Was ursprünglich nur ein kurzer Besuch werden sollte, zieht sich in die Länge, als zum Beispiel die Longstreets noch auf ein Stück Kuchen einladen, sich Nancy über den Couchtisch erbricht und als schließlich der Whiskey hervorgeholt wird.

Doch immer wieder bröckelt die Fassade und die Figuren können nicht verbergen, wie groß die Abneigung zu einander und dem eigenen Leben tatsächlich ist: Alan (Christoph Waltz) interessiert sich nur für seine Karriere als Rechtsanwalt, bei der er einen Pharmakonzern vertritt, und ist die meiste Zeit über am Telefon. Nancy (Kate Winslet) ist Anlageberaterin und wollte eigentlich nie Kinder haben, ist deshalb unzufrieden mit ihrem Leben, aber bemüht sich dennoch, ihrer Rolle als Mutter gerecht zu werden. Penelope (Jodie Foster), die im Buchhandel arbeitet und nebenbei über Afrika schreibt, lebt nach festen Wertvorstellungen, an denen sie trotz massiven Widerstands der anderen verzweifelt festzuhalten versucht. Und Michael (John C. Reilly), ein Haushaltswarenhändler, gibt sich zwar als gutmütiger Familienvater, ist aber eigentlich Nihilist, dem seine Familie ähnlich viel bedeutet wie Alan.

Konflikte zwischen den Figuren treten zuhauf auf: Mal entrüstet sich Nancy darüber, dass Michael den Hamster seiner Tochter aus Abneigung vor Nagetieren ausgesetzt hat; mal machen sich alle über die politisch korrekte Penelope lustig, die dem Zynismus der anderen zum Trotz an ihren Idealen festhält. Ständig klingelt Alans Handy, was alle anderen zur Weißglut treibt. Zu Beginn des Films fragt man sich noch, wann Nancy sich endlich scheiden lässt, denn ihr Mann ist nicht nur ein selbstgerechter, ignoranter Chauvinist, sondern lässt sie auch mit Pflichten in Haushalt und Familie völlig alleine. Später erkennt man, dass sie wahrscheinlich in Wirklichkeit gerne so leben würde wie er und dass die Ehe der Longstreets keineswegs glücklicher oder weniger verkorkst ist als ihre. Im einen Moment heißt es Ehepaar gegen Ehepaar, im Nächsten tun sich jeweils die beiden Frauen und Männer gegen ihre Partner bzw. Partnerinnen zusammen. Letztendlich ist es jede*r gegen jede*n, laut Der Gott des Gemetzels der Naturzustand der Menschheit. Zynisch ist dabei nicht nur die Botschaft des Films, sondern auch die Tatsache, dass überhaupt jemand wie Roman Polanski das Thema „Kindeswohl“ behandelt.

Abgesehen von Vor- und Abspann, die die Kinder im Park zeigen, spielt die gesamte Handlung in der Wohnung der Longstreets und der Dialog teilt sich ausschließlich auf die beiden Elternpaare auf, was ein durchaus interessantes Konzept ist. Der Film besteht letztlich aus vier Hollywoodgrößen, die sich auf kleinstem Raum schauspielerisch austoben, während die Hüllen der Zivilisation fallen. Kritisiert wird im Wesentlichen die pseudo-aufgeklärte, intellektuelle gehobene Mittelschicht, bei der der Film interessanterweise besonders gut ankam. Wer sich weder am Nihilismus und der pessimistischen Weltsicht, noch an Roman Polanski stört, wird mit diesem Film wahrscheinlich gut unterhalten werden.

verfasst im Sommersemester 2018